Falsche Wissensvermittlung in den Berufsschulen
Gestern wurde ich gefragt: „Janine, meinst du, es findet an den Berufsschulen eine falsche Wissensvermittlung im Unterricht der Mediengestalter statt?“
Ich konnte prompt antworten: „JA! SCHEISSE, ABSOLUT!“
Denn dieses Thema brennt mir echt unter den Nägeln – es schmerzt mir in der Designer-Seele.
Um diese Frage ausführlicher zu beantworten, müssen wir uns einig sein, was Mediengestalter Digital und Print eigentlich sind.
Mediengestalter sind zu allererst einmal Hybrid Thinker. Den Begriff habe natürlich nicht ich erfunden, ich kann das Baby nur endlich beim Namen nennen. Denn erst letzte Woche las ich einen Artikel von Karolina Schilling, der App Designerin hinter muppetti.de, in der aktuellen Ausgabe der Website Boosting. Ein wirklich genialer Artikel mit dem Titel „Designer - Hybrid Thinker“.
Kennt ihr das, wenn ihr ein Gefühl zu einem Thema habt, könnt dieses Gefühl jedoch nicht in knackige Worte fassen, sodass jeder versteht, was ihr meint? Karolina hat mir mit dem Begriff „Designer - Hybrid Thinker“ weitere Synapsen im Hirn verbunden. Danke, Karolina!
Karolina hat übrigens in ihrem Buch „Apps machen“ von Karolina Schilling dem Thema „Hybrid Thinker“ ein komplettes Kapitel gewidmet!
Der Term ist natürlich nicht ihre Erfindung, aber das führt an dieser Stelle zu weit. Mehr Informationen zum Hybrid Thinker gibt es im Zusammenhang mit dem Design Thinking.
Leider steht der Artikel aktuell auch nur für ein recht begrenztes Fachpublikum zur Verfügung, denn außer SEOs und Bloggern wird das Magazin wohl kaum einer lesen. Aber wer die Möglichkeit hat, an den Artikel oder an ihr Buch zu kommen, sollte sich UNBEDINGT einlesen!
Was sollen jetzt bitte Hybrid-Thinker sein?
Ganz einfach und simpel, sind das Designer, die:
- Ideen eine weltliche Form geben (anfassbar oder virtuell),
- dies Form benutzbar machen,
- unterschiedliche Disziplinen miteinander verbinden,
- Businessmodelle verstehen und
- Kaufbereitschaft der Nutzer wecken.
Dazu braucht es die folgenden Skills
(das sind nur ein paar der Skills nach meiner Berufserfahrung und bei Weitem keine vollständige Liste, zumal die Skills auch definitiv vom Designer Job anhängen):
- Kreativität
- breite Allgemeinbildung
- Empathie!!!
- Resilienz / Kritikfähigkeit
- Organisation
- Engagement / Geilheit auf den Job
Ich glaube allerdings, dass all diese Dinge noch nicht bei jedem Ausbilder oder "ausgebildeten“ Mediengestalter angekommen sind.
Nein, Mediengestalter erstellen nicht den ganzen Tag Visitenkarten und Flyer. Das macht vielleicht 1% der Anforderungen aus.
95% der Deutschen haben jedoch keinen Plan davon, was ein Mediengestalter eigentlich alles machen kann und wie mega cool dieser Job eigentlich ist. An dieser Stelle schließe ich auch die meisten Berufsschullehrer und Ausbilder mit ein! Muh.
Allgemein gilt einfach nur: Designer und die, die was mit Medien machen, gelten als cool, sind hier und da ein bisschen kreativ, können immer Jeans, T-Shirt und geile Sneaker tragen und benutzen diese fancy Apple Produkte.
Pustekuchen! Designer sein ist ein echt harter Job, der alles andere als easy ist, viel fordert, aber auch eine ganze Menge gibt.
Leider nur gibt es neben den Hürden beschissener Ausbildungsbetriebe, Ausbilder und Berufsschullehrer, zu allererst die Hürde Mutti und Vati, die ihre talentierten Kinder davon abhalten, diesen wunderbaren und hoch komplexen Beruf zu erlernen, eben nur weil sie das Talent ihrer Kinder nicht verstehen und das Setzen von Visitenkarten und Flyern für sinnloses Geplänkel und keine gescheite Arbeit halten - völlig bescheuert, totale Verschwendung von Talent. Sowas bringt nur Frust.
Immer wenn ich nun über die Frage der Ausbildungsinhalte nachdenke und ob den Azubis das richtige Wissen vermittelt wird, stellen sich mir automatisch auch diese Fragen:
- Wie sollen Lehrer, die vor 10-30 Jahren ihren eigenen Abschluss erhalten haben, Azubis Wissen vermitteln, welches sich ständig ändert und wandelt? Der Beruf des Mediengestalters von vor 10 Jahren unterscheidet sich massiv von dem Mediengestalter im Hier und Jetzt, geschweige denn hat er etwas mit dem Gestalter von vor 20-30 Jahren zu tun. Auch Berufsschullehrer werden wohl kaum den talentierten UX-Designer erkennen und fördern. (an dieser Stelle sehe ich schon die Empörung in so mancher Gesichter – muh) Die meisten Menschen haben in jungen Jahren ausgelernt und verlernen zu lernen. Eine lebenswichtige Eigenschaft, die eigentlich nie verloren gehen sollte.
- Was glaubt ihr, halten sich Berufsschullehrer auf dem Laufenden? Beschäftigen sie sich täglich mit dem neuen geilen Scheiß, der in diesem Beruf die Zukunft sein wird?
- Meint ihr, jeder von denen hat die Creative Cloud auf seinem privaten Rechner, um die ständigen Updates im Blick zu haben oder um selber praxiserfahren zu sein?
- Schult sich der Typografie Lehrer während seiner Freizeit in Handlettering und Kalligrafie, um seinen Schülern auch von Trends in seinem Fachgebiet berichten zu können? Ob er dafür wohl auch Teil der riesigen deutschen Instagram Handlettering Community ist?
- Hat eigentlich irgendeiner von den Staatsdienern einen Plan, was auf den Social Media Plattformen in diesem verrückten und neumodischen Internetz abgeht und was Designer hier für eine riesige Chance direkt vor Nase haben? Was ist eigentlich dieses Snapchat mit diesem gelben Geist?
- Wissen die Sozi Lehrer, worauf es in der Berufswelt da draußen wirklich ankommt und bereiten sie die Azubis darauf vor? Wissen sie, dass Empathie und Resilienz kriegsentscheidende Eigenschaften sind, die es zu fördern und formen gilt?
Mediengestalter müssen Hybrid-Thinker sein, um ihren Job gut zu machen!
Da kommt keiner drum herum, es sei denn folgendes Szenario trifft ein:
In einem Kommentar, meines Beitrages „warum ich Berufsschulen zum kotzen finde“, wurde erwähnt, dass die Berufsschulen so wichtig sind, um theoretisches Wissen zu vermitteln, was wohl angeblich in den Betrieben zu kurz kommt. „Es sollen ja schließlich nicht nur praktische Knöpfchendrücker ausgebildet werden.“
Ich sage BULLSHIT!!
Wenn die Azubis lediglich mit Theorie im Frontalunterricht und mit dem Ausarbeiten von viel zu großen Projekten über mehrere Blöcke hinweg gepeinigt werden, anstatt das frisch Gelernte gleich und direkt knackig in einem 1-wöchigen Projekt praktisch anzuwenden, dann werden freilich nur Knöpfchendrücker aus ihnen. Sie wissen ja gar nicht, wo sie was und wie an ihren technischen Devices tun können! Geschweige denn, ist ihnen der praktische Ablauf der simpelsten Arbeitsweisen klar, da die Verknüpfung von Theorie und Praxis in der Schule vorne und hinten fehlt. Völlig sinnlose Zeitverschwendung. Und am Ende haben wir trotzdem nur Knöpfchendrücker in den Betrieben sitzen, weil die meisten fertig ausgebildeten Mediengestalter mit den Programmen nichts anzufangen wissen.
Vom Hybrid-Thinker sind wir hier Welten entfernt.
Heute ohne „cheerio“, Janine vom Team SalierDruck